Stack

Die patinierte Bronze der abstrakten Skulptur Stack des 1949 in Liverpool/GB geborenen und in Wuppertal lebenden Bildhauers Tony Cragg erinnert an Naturphänomene wie verwitterte Felsen, verschliffenes Holz oder vulkanische Rauchsäulen. Ihre übereinander geschichteten geometrischen Körper und Formen, die wiederholt, gedreht und zu dynamischen Strukturen erweitert sind, rufen aber auch Vorstellungen von geologischen Modellen, digitalen Datenvisualisierungen oder Bildwiedergaben eines Rasterelektronenmikroskops auf. 

Die ikonischen Stacks (Stapel), die Cragg seit den 1970er Jahren in seinem Werk immer wieder modifiziert, haben ihren künstlerischen Ursprung in geometrisch gestapelten Hinterlassenschaften der Industriegesellschaft, die „Schlüssel zu einer vergangenen Zeit sind, die unsere Gegenwart ist“, (Tony Cragg, 1987). Die Skulpturen des Turner-Preisträgers und mehrfachen documenta-Teilnehmers evozieren einen Zustand zwischen Natur und Künstlichkeit in einer Welt von „Halbfabrikaten“ (Vilém Flusser). 

Platziert im nach 1990 rekonstruierten Kurpark Bad Schlema steht die 2019 datierte Skulptur Stack in direkter Nachbarschaft zum ehemaligen Wismut-Schacht 7b, aus dem seit 1947 in einer Tiefe von bis zu 278 Metern Uranerz gefördert wurde. Die sowjetisch-deutsche Wismut AG gewann im Erzgebirge und in Thüringen rund 60 Prozent ihres Bedarfs an Uranerz für ihre Bombenproduktion und Atomkraftwerke wie Tschernobyl und zerstörte in Bad Schlema selbst Kurhäuser, Dörfer und Natur. 

So erinnert Craggs Stack auch daran und lässt gleichzeitig an die Darstellung der Erdschichtung des im 16. Jahrhundert von Hans Hesse geschaffenen Annaberger Bergaltars denken. 

 

Geformt durch den Bergbau: Kulturlandschaft Montanregion Erzgebirge
Die Bergstadt Aue-Bad Schlema erlitt in seiner jüngeren Bergbau-Geschichte im 20. Jh. eine bis dahin in der Region nie gesehene Zerstörung. Dem Uranabbau durch die Wismut nach 1945 wurde das Kurparkgelände geopfert. Erst gegen Ende der 1990er Jahre wurden die Schächte verfüllt und die Landschaft revitalisiert.

Uran: Ein Metall schreibt Weltgeschichte im Kalten Krieg
Uran wurde weltweit zum ersten Mal im Erzgebirge entdeckt, gewonnen und verarbeitet, zunächst als Pigment für die Farbherstellung. Nach dem 2. Weltkrieg übertraf der Uranbergbau im Volumen alles, was das Erzgebirge bis dahin in seiner Montangeschichte erlebt hatte. Die Sowjetische AG Wismut förderte das Uranerz für den Bau von Atomwaffen und den Betrieb von Atomkraftwerken.

Erzbergbaulandschaften: Silber, Zinn, Kobalt, Uran, Eisen
Silber, Zinn, Kobalt, Uran und Eisen repräsentieren die fünf Erzbergbaulandschaften, welche das UNESCO Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří charakterisieren. Jede ermöglicht Gästen einen Einblick in Abbau und Verarbeitung in einzelnen Epochen und veranschaulicht die Bedeutung aus globaler Sicht. Nach 1990 wurden die Bergbaulandschaften rekultiviert. Dieser Prozess gilt weltweit als Vorbild für erfolgreiche Sanierung. Ein Grund dafür, dass Aue-Bad Schlema seit 2019 ein Bestandteil des UNESCO Welterbes Montanregion Erzgebirge ist. Davon können sich Gäste auf dem Bergbau- und Sanierungs-Lehrpfad ein Bild machen.

Die Macher: Kern der erzgebirgischen DNA
Veit Hans Schnorr (der Jüngere)
war Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts ein Unternehmer der Superlative: Er gründete mehrere Hütten- und Hammerwerke, darunter das seinerzeit größte sächsische Hammer- und Eisengusswerk in Carlsfeld, und besaß Anteile an allen großen Eisen-, Kobalt-, Silber- und Zinngruben. Berühmt wurde ab 1711 seine St. Andreas Fundgrube bei Aue. Sie lieferte das Kaolin für das Meißner Porzellan. Bereits in seinen Lehrjahren hatte er in den Niederlanden Kontakte geknüpft. Die Keramikwerkstatten in Delft waren Hauptabnehmer für das Farbpigment Kobaltblau. Sein Vater Veit Hans (der Ältere), Gründer des ersten Blaufarbenwerks in Sachsen (1635), legte den Grundstein für das Kobalt-Monopol. Als dieser 1648 nach Russland verschleppt wurde, übernahm Mutter Rosina bis 1665 die Geschäfte.

„Die Nickelhütte war 1989/90 unter dem Aspekt des Umweltschutzes für viele Menschen in Aue nicht mehr tragbar“, berichtet Geschäftsführer Henry Sobieraj, „obwohl die Arbeitsplätze dringend gebraucht wurden. Das haben wir zum Glück überwinden können, indem wir uns umfassend erneuert haben.“ Der Betrieb wurde komplett auf eine neue ökologische und wirtschaftliche Grundlage gestellt: Abgasreinigung, Wasserreinigung, neue Kunden und neue Produkte. Von A wie Aluminium über K wie Kupfer und L wie Lithium bis Z wie Zink reichen die Metalle, die hier in der Nickelhütte recycelt werden. Die Nickelhütte ist heute eine wichtige Station im weltweiten Kreislauf der Metallindustrie. In der Nickelhütte Aue, wo sich heute eines der innovativsten Hüttenwerke für Buntmetall-Recycling in Europa befindet, liegen die Wurzeln des berühmten Kobaltblau. 1635 gründete Veit Hans Schnorr (der Ältere) an diesem Standort das Hüttenwerk Niederpfannenstiel. Seitdem läuft der Hüttenbetrieb ohne Unterbrechung.

Innovationsfähigkeit – eine typisch erzgebirgische Mentalität
Innovation sicherte das Überleben der Montan- und Metallkompetenz in vielen Transformationsprozessen bis heute. Betriebe, Mitarbeiter:innen und Städte waren im Geben und Nehmen eng verbunden. Das Blaufarbenkonsortium, ein Zusammenschluss aller fünf Blaufarbenwerke im Erzgebirge (1694), war schon damals in dieser Hinsicht sehr fortschrittlich. Es gab Arbeiterwohnungen und Schulen in der Nähe der Betriebe. Im Werk Niederpfannenstiel (heute Nickelhütte Aue) wurde 1717 die erste Betriebskrankenkasse Deutschlands gegründet. Die Knappschaftskassen im Bergbau gab es schon früher, aber dieses Modell auf einen Industriebetrieb zu übertragen, war damals eine neue Idee. 

Die Unternehmerfamilie Schnorr begründete am Ende des 17. Jahrhunderts das weltweite Kobaltmonopol, das bis ins 19. Jahrhundert bestand. Grundlage des Kobaltwesens waren die reichen Vorkommen an Kobalt in den Erzschichten der Region um Aue, Schneeberg, Schwarzenberg, Annaberg-Buchholz und Zschopau. 

Die Bergstadt: Vom Bergbau zur Boomtown
Der Erfolg eines neuen Stadttyps im 15./16. Jh.
Der Bergbau löste einen enormen Besiedlungsprozess aus. Bis heute prägt er das Erscheinungsbild der Region. Zwischen 1460 und 1560 wurden 31 Städte gegründet bzw. zur freien Bergstadt ernannt, davon 16 auf sächsischer und 15 auf böhmischer Seite. Die größten Bergstädte entwickelten sich zu bedeutenden Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturzentren. 

 Erstes „Berggeschrey“: Das Silber ruft nach Freiberg
Zweites „Bergeschrey“: Schneeberg und Annaberg-Buchholz
Renaissance: Marienberg erste Idealstadt nördlich der Alpen 

Annaberg-Buchholz: Aufgeworfene Erde
Der Bergaltar in St. Annen von Hans Hesse (1521/22)
Auf dem Bergaltar von St. Annen (geweiht 1519) in der Bergstadt Annaberg-Buchholz sehen Besucher:innen auf der Rückseite die älteste Kunstdarstellung des sächsischen Bergbaus aus der Reformationszeit. Das Gemälde schuf Hans Hesse. Es erzählt von der Auffindung des ersten Silbers und ist das Symbol für die Bergbaukultur schlechthin. Aber nicht nur, weil er die aufgeworfene Erde zeigt, die zum Sinnbild eines Zeitalters wurde.  

Sondern auch, weil er ein einzigartiges Zeugnis der Sozialgeschichte und einer neuen Frömmigkeit ist: Der Altar wurde von Bergleuten in Auftrag gegeben, von Bergleuten selbst mit dem sog. „Wochenpfennig“ finanziert und für die Bergleute geschaffen. Bemerkenswert ist auch die Darstellung der Rolle der Frau als Bergarbeiterin, die hier zweimal als Erzwäscherin abgebildet ist. 

Auf der Vorderseite zeigt der geschnitzte Bergaltar traditionelle Szenen aus dem Leben Marias. Er ist klappbar und zeigt Darstellungen entsprechend dem Kirchenjahr. 

Kobalt – das Pigment für Blaufarben
Meissner Porzellan, Delfter Kacheln, Portugiesische Azulejos und Chartres-Blau
Meissner Porzellan
und Delfter Kacheln kennt man heute noch als berühmte Traditionsprodukte mit Blaufarbenbemalung. Die Spuren des Kobaltblau aus dem Erzgebirge lassen sich in die ganze Welt verfolgen, wofür auch die Holländer mit ihrem Handelsimperium mitverantwortlich waren. Alte Handelskontrakte aus dem 17. Jh. finden sich in den Archiven gefunden. Das Blau der berühmten Azulejos (portugiesisch: Fliesen) an den Gebäuden in Lissabon färbt Kobaltblau aus dem Erzgebirge, was die Holländer lieferten. 

Erstaunlich ist auch der Befund des französischen Chemikers Bernard Gratuze, der in den 1990er Jahren Kobaltblau aus den Revieren Schneeberg und Freiberg in Frankreich, sowohl in Keramik als auch Glas, nachgewiesen hat. Das magische Blau der Fensterbemalung aus dem 13.Jh. in der Kathedrale von Chartres, ebenfalls UNESCO-Welterbe, erzeugt das Kobaltmineral aus dem Erzgebirge. Samt Begleitmineralien hat es einen typischen chemischen Fingerabdruck. 

Der Kunst- und Skulpturenweg PURPLE PATH

Die Landschaften um Chemnitz – das Erzgebirge, Mittelsachsen, das Zwickauer Land – sind tief geprägt von der 850-jährigen Geschichte des Bergbaus. Der Abbau von Silber, Zinn, Kobalt, Kaolin und Wismut hat das Leben bestimmt; alle Wege, Straßen, Siedlungen haben irgendwie damit zu tun. Es ist eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, die im 21. Jahrhundert neu entdeckt werden will.

»C the Unseen« lautet das Leitmotiv der Kulturhauptstadt Europas 2025. Chemnitz und die Region werden Besucher:innen aus der ganzen Welt empfangen. Ein zentrales künstlerisches Angebot ist der Kunst- und Skulpturenweg des PURPLE PATH mit Arbeiten von internationalen und sächsischen Künstler:innen.

Kuratiert von Alexander Ochs orientiert sich der PURPLE PATH am Narrativ „Alles kommt vom Berg her“ und verbindet 38 Kommunen im Erzgebirge, in Mittelsachsen und dem Zwickauer Land mit der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz 2025.

Uli Aigners Monumentale Porzellane ist das sechste Kunstwerk am kontinuierlich wachsenden PURPLE PATH. Bereits installierte Werke stammen von Nevin Aladağ in Zwönitz, Tony Cragg in Aue-Bad Schlema, Friedrich Kunath in Thalheim, Tanja Rochelmeyer in Flöha und Carl Emanuel Wolff in Ehrenfriedersdorf.

Courtesy Tony Cragg und Buchmann Galerie Berlin

Foto: Ernesto Uhlmann

Texte: Ulrike Pennewitz / Alexander Ochs 

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