Schwarzenberg: Bergstadt und Freie Republik
Schwarzenberg gilt als eine der wesentlichen Bergbaustädte im Erzgebirge, hier wurden vorrangig Zinn und Eisen gefördert. Am Ende des 2. Weltkriegs 1945 war die Stadt und die umliegende Region 42 Tage weder von den amerikanischen noch den sowjetischen Alliierten besetzt. Schwarzenberg gehörte damit keiner Besatzungszone an. Durch den utopischen Roman „Schwarzenberg“ (1984) von Stefan Heym entstand die Legende der „Freien Republik“, welche die Bürgerinnen und Bürger damals angeblich ausgerufen hätten. Bis heute ist diese ungewöhnliche historische Episode im kulturellen Gedächtnis der Schwarzenberger Bürgerschaft präsent.
Die 1971 geborene iranisch-deutsche Bildhauerin Bettina Pousstchi greift die Legende der „Freien Republik Schwarzenberg“ auf. Für Schwarzenberg entwickelt sie eine Skulptur aus gebrauchtem Stahl, in der sie je 21 Poller zu einer Gruppe von 42 gegenüberstellt. Diese stehen sinnbildlich für die 42 Tage, in denen sich im Rahmen der “Freien Republik” sehr unterschiedliche Meinungen gegenüberstanden.
42 Tage „Freie Republik Schwarzenberg“?
Mit dem Tag der Befreiung am 8. Mai 1945 endete der 2.Weltkrieg in Deutschland. Das ganze Land wurde besetzt – außer die Region um die Bergbau- und Industriestadt Schwarzenberg. Es ist eine kuriose Episode in den Wirren des Krieges, warum ausgerechnet dieser erzgebirgische Landstrich 42 Tage lang weder von amerikanischen noch sowjetischen Alliierten besetzt wurde. Erst im Juni rückten die Sowjettruppen ein.
Um die Ursachen gibt es viele Spekulationen, ebenso zu den Geschehnissen während dieser 42 Tage. Gründeten Verwaltungsbeamte, Kommunisten und Sozialdemokraten wirklich eine Republik? Deutsche Exilkommunisten um den späteren DDR-Staatschef Walter Ulbricht und Teile der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung stilisierten das Ereignis zu einer basisdemokratischen sozialistischen Revolution. War es wirklich ein „antifaschistischer Neubeginn der DDR-Arbeiterklasse“, wie der Chronist Werner Groß damals schrieb? Der gebürtige Chemnitzer Autor Stefan Heym (1913-2001) lieferte 1984 mit seinem utopischen Roman „Schwarzenberg“ das Stichwort „Freie Republik“ zur Legende eines „Dritten Weges“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Der Roman wurde vom offiziellen Kulturbetrieb sehr kritisch gesehen und durfte in der DDR nicht erscheinen.
Neueste Forschungen der Schwarzenberger Autorin Lenore Lobeck zeigen, dass es den damaligen Akteuren wohl weniger um ein eigenes sozialistisches Staatswesen ging, als vielmehr um die selbstorganisierte Aufrechterhaltung der Sicherheit und der Versorgung der Bevölkerung. Der Mythos von der „Freien Republik“ ist heute ein wichtiger Teil der Stadtidentität und immer noch Inspiration für Künstler.
Buchtipps
- Stefan Heym: Schwarzenberg. Roman, Bertelsmann, München 1984
1945: Der Krieg ist zu Ende und die Siegermächte machen sich an eine Neuordnung Deutschlands. Doch ein kleines Fleckchen Erde namens Schwarzenberg wird dabei einfach vergessen. Die Einwohner nutzen die Chance, ihre Zukunft selbst zu gestalten – und so entsteht in der kargen Landschaft des Erzgebirges eine kleine freie deutsche Republik. Doch der Versuch, auf Dauer eine Demokratie einzurichten, die diesen Namen verdient, glückt nicht: Nur allzu bald wird die Republik Schwarzenberg von der Politik der Großmächte eingeholt. Ein faszinierendes und packend erzähltes Gedankenspiel und eine Utopie, die beinahe Wirklichkeit geworden wäre.
- Volker Braun: Das unbesetzte Gebiet, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2004
42 Tage lang, im Mai und Juni 1945, war das erzgebirgische Schwarzenberg unbesetztes Gebiet. Die Einwohner, die Flüchtlinge, Ostarbeiter und marodierende Soldaten fanden sich unverhofft im Niemandsland. Niemand war zuständig für sie, wer würde sie versorgen? Es begann eine herrschaftslose Zeit, nämlich ein großes „Durchenanner“; und das hieß für die einen ein banges Warten und für die anderen, wenigeren, ein „unverschämtes Beginnen“. Denn wenn man sie vergessen hatte, mussten sie sich auf sich selbst besinnen.
- Lenore Lobeck: Die Schwarzenberg-Legende, 7.Aufl., Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018
Die Frage, was in dieser Zeit im scheinbaren Niemandsland wirklich geschah, bot Anlass vielfältiger Spekulationen. Mythen entstanden. Lenore Lobeck recherchierte in Archiven, sondierte Akten. Anhand von Dokumenten zeigt sie die Diskrepanz zwischen dem Mythos von der Enklave der Freiheit und der vor Ort erlebten repressiven Wirklichkeit. Die Autorin hat die Arbeit der Gemeinden im gesamten Landkreis, den Umgang mit Flüchtlingen und Verhaftungen in jener Zeit untersucht. Spekulationen, warum der Kreis unbesetzt blieb, werden kenntnisreich entzaubert.
Montanregion Erzgebirge: Die größten Zinnkammern Europas
Erste Abbaugebiete des Zinns ab dem 13. Jahrhundert lagen im Westerzgebirge. Mit der Entdeckung neuer Vorkommen in den Hochlagen im 16. Jh. überstieg der böhmisch-sächsische Abbau sogar die britische Förderung. Das Erzgebirge wurde zeitweise zum größten Zinnproduzenten der Welt. Zinnabbau wurde in Schwarzenberg noch im 20. Jh. betrieben.
Zinnkammern im Besucherbergwerk Pöhla
Im Jahre 1967 kam die sowjetische SDAG Wismut auf der Suche nach Uran in den Ort Pöhla bei Schwarzenberg. Bei Probebohrungen entdeckte man hier große Erzlagerstätten mit Uran, Zinn, Wolfram, Eisen und Silber. Ende 1967 trieben die Bergleute einen ca. 8 km langen Hauptstollen bis zum Fuße des Fichtelberges. Bei etwa 3 km wurde die Zinnerzlagerstätte „Hämmerlein“ als Experimentalabbau bis Ende der 1970er Jahre aufgefahren. Vorrangig blieb aber der Abbau von Uran ab 1979 in der nahen Uranerzlagerstätte bei ca. 6 km des Hauptstollens, unter dem Ort Tellerhäuser gelegen. Im Jahr 1991 begann die neu gegründete Wismut GmbH untertage und übertage mit umfangreichen Sanierungsarbeiten. Die überaus interessanten Zinnkammern können heute als einmalige Zeugen der Bergbaugeschichte besichtigt werden.
Werkzeugbau im ältesten Eisen-Hammerwerk des Erzgebirges
Eisenbergbau und -verarbeitung spielte vor allem vom 14. bis 19. Jh. eine wichtige Rolle im Erzgebirge. Die Nachfrage nach Werkzeugen stieg mit der rasanten Entwicklung des Zinn- und Silberbergbaus sowie den Bergstadtgründungen stark an. Auf den Weg in die Geschichte des Eisens begibt man sich in der Bergbaulandschaft „Rother Berg“. Mit dem Herrenhof „Erlahammer“ (17.Jh.) in Schwarzenberg finden Gäste hier das älteste noch bestehende Eisenhammerwerk des Erzgebirges, das 1380 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Die Eisenwerk Erla GmbH in Schwarzenberg produziert heute Gussteile für die Automobilindustrie.
Erzbergbaulandschaften: Silber, Zinn, Kobalt, Uran, Eisen
Silber, Zinn, Kobalt, Uran und Eisen repräsentieren die fünf Erzbergbaulandschaften, welche das UNESCO Welterbe Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří charakterisieren. Jede ermöglicht Gästen einen Einblick in Abbau und Verarbeitung in einzelnen Epochen und veranschaulicht die Bedeutung aus globaler Sicht.
Schloss Schwarzenberg: Kulturzentrum, Volkskunstschule, Museum
Das Schloss Schwarzenberg thront hoch über der historischen Altstadt von Schwarzenberg. 1212 wurde es erstmals als castrum (Burg) urkundlich erwähnt. Einziger Zeitzeuge dafür ist der Bergfried, ein alles überragender Rundturm. Heute zeigt es sich als Schloss im Renaissance-Stil (Umbau 1555-58), wovon die verzierten Giebel, das Schnitzwerk der Holzdecken und der große Wendestein zeugen. Die Nutzungen wechselten über die Jahrhunderte: Schutzburg, Jagdschloss, Bergamt, Verwaltungssitz, Amtsgericht.
Als Kulturzentrum mit seinen Events ist es heute einer der Treffpunkte für Musikliebhaber, Künstler und Kreative. In der Volkskunstschule pflegt man das erzgebirgische Handwerk des Klöppelns, Schnitzens und Filzens auf moderner Basis. Das Museum „Perla Castra“ präsentiert eine einzigartige Sammlung zu den Materialien, welche die Geschichte der Stadt geprägt haben: Eisen, Zinn und Spitze.
Innovationsfähigkeit - eine typische Mentalität erzgebirgischer Macher
Hans Brockhage (1925-2009): Designikone aus Schwarzenberg
Der Bildhauer, Formgestalter und Kunstprofessor Hans Brockhage ist der renommierteste Künstler Schwarzenbergs und gilt als maßgeblicher Reformer eines zeitgemäßen Verhältnisses von Tradition und Form in der DDR. Sein Arbeitsgebiet war der vielseitige „Umgang mit Holz“, wie er sein Schaffen selbst bezeichnete.
Hans Brockhage Vita:
- 1925 in Schwarzenberg geboren
- ab 1945 Lehre als Holzbildhauer und Drechsler in Seiffen
- 1947 bis 1952 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bei Will Grohmann, Hans Theo Richter, Ludwig Renn, Theodor Artur Winde, Mart Stam und Marianne Brandt
- 1955-1965 freiberuflicher Formgestalter in Schwarzenberg
ab 1965 Dozent an der Hochschule für industrielle Gestaltung Burg Giebichenstein - ab 1968 Aufbau der Klasse für Holzgestaltung an der Fachhochschule Schneeberg
- ab 1975 monumentale Skulpturen für das „Kunst am Bau“-Programm (z.B. Foyer der Stadthalle Chemnitz, Mensa der Bergakademie Freiberg)#
- 1977-1990 Professor an der Hochschule für angewandte Kunst Schneeberg (heute Westsächsische Hochschule Zwickau, Fachbereich Angewandte Kunst Schneeberg)
Designgeschichte geschrieben: Der Schaukelwagen
Hans Brockhage entwickelte im Jahr 1950 statt eines Schaukelpferdes einen Schaukelwagen, der nicht umkippen kann. Dreht man den Schaukelwagen um 180°, funktioniert er als Laufhilfe. Dieser Schaukelwagen erhielt renommierte internationale Auszeichnungen und wird heute noch in Lizenz von der WERKFORM GmbH in Brand-Erbisdorf nahe Freiberg produziert. Zu sehen ist er in der ständigen Sammlung des MOMA - Museum für Moderne Kunst in New York, des Centre Pompidou in Paris und des Albert und Victoria Museums in London.
Porsche Werkzeugbau: Tradition der Eisenverarbeitung seit 1898
Die Porsche Werkzeugbau GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der Porsche AG. Am Standort Schwarzenberg stellen 450 Fachkräfte die hochkomplexen Werkzeuge für alle Karosserieaußenteile und komplizierte Innenteile her. Auszubildende erlernen die Berufe Werkzeugmechaniker und Zerspanungsmechaniker. Sie führen so die jahrhundertelange Tradition der Metallverarbeitung im Erzgebirge fort. Im Jahr 1938 begann im Schwarzenberger Werk die Fertigung der Werkzeuge für den ersten von Prof. Dr. Ferdinand Porsche entwickelten VW-Käfer. Erstmals im deutschen Automobilbau wurden Dach, Heckfenster und Windlauf aus einem Stück gezogen. Ursprungsbetrieb war die ESMS - Erzgebirgische Schnittwerkzeug- und Maschinenfabrik Schwarzenberg (gegründet 1898).