Hohenstein-Ernstthal – Stadt am Sachsenring
Hohenstein entstand am Südhang des Pfaffenberges (479 m) zwischen Goldbachtal und Hüttengrund. Es wurde als Bergstadt 1513-17 gegründet. Seit 1473 ist der Abbau von Silber verbürgt, später förderte man auch Kupfer, Arsen und Gold. Ende des 17.Jh. wurde am oberen Ende des Goldbachtales, östlich von Hohenstein, die Siedlung Ernstthal gegründet. Beide Ortsteile gründen auf einer ideal geplanten Anlage mit jeweils rechteckigem Altmarkt bzw. Neumarkt. Erst seit 1898 sind beide Stadteile zusammengeschlossen.
Tragender Gewerbezweig wurde statt des Bergbaus die Leineweberei und Strumpfwirkerei. Ab dem 17.Jh. kann man von einer frühen Textilindustrie für Möbelstoffe, Trikotagen und Decken sprechen. Für das Jahr 1788 beispielsweise ist überliefert, dass auf die 3.000 Einwohner sage und schreibe 436 Webermeister kamen. Doch die Textilindustrie ist seit dem Strukturwandel nach der Deutschen Einheit 1990 inzwischen Geschichte. Nur wenige Textilbetriebe gibt es noch, dafür aber einen starken Mittelstand im Branchenmix.
Rennsport am Sachsenring seit 1927
Neu aufgelebt dagegen ist 1998 die Erfolgsgeschichte des internationalen Motorrad Grand Prix mit dem „Sachsenring Circuit“. Seit 1927 werden in Hohenstein-Ernstthal Rennen ausgetragen. Immer wieder war und sind diese Events Anziehungspunkte für Hunderttausende. Umso passender ist es, dass für den Purple Path die französische Künstlerin Caroline Mesquita gewonnen werden konnte. Sie installierte in Hohenstein-Ernstthal zwei ihrer Motorrad-Skulpturen.
Beide Traditionen der Stadt – Industrie und Sachsenring – finden im Textil- und Rennsport Museum zusammen. Außergewöhnliche Geschichten und fantastische Exponate sind hier zu erleben. Mit Fantasien ganz anderer Art ist Hohenstein-Ernstthal verbunden, wenn man an die Literatur denkt. Hier wurde 1842 Karl May geboren. Seine Abenteuerromane ließen ihn zu einem der meistgelesenen Schriftsteller der Welt werden. In seinem Geburtshaus ist ein Museum zu besichtigen.
Gauner, Phantast, Erfolgsautor: Karl May (1842-1912)
Nahe dem Ernstthaler Neumarkt mit der Trinitatiskirche, in der Karl-May-Straße, befindet sich das Geburtshaus von Karl May. Der erfolgreiche Autor der Winnetou-Abenteuerromane ist wohl der bekannteste Sohn der Stadt. 1842 wurde Karl May als 5. Kind eines Webers in der Textilstadt geboren. Er hatte 13 Geschwister, von denen einige früh starben. May besuchte die Volksschule in Ernstthal und ging 1856 an das Lehrerseminar im nahen Waldenburg.
In dieser frühen Zeit war nicht absehbar, dass er eine Autorenlaufbahn einschlagen würde, denn er geriet auf persönliche Abwege. 1860 wurde er vom Lehrerseminar Waldenburg ausgeschlossen, weil wohl sechs Kerzen unterschlagen hatte, durfte aber in Plauen weiterstudieren. Eine Bagatelle, sollte man meinen, aber es blieb nicht sein letzter Konflikt mit der Gesellschaft. 1861 erwarb er seinen Abschluss und arbeitete als Hilfslehrer an der Armenschule in Glauchau , dann an einer Fabrikschule in Altchemnitz.
Der Gauner und Kriminelle
Hier geriet Karl May alsbald sogar ins Fadenkreuz der Justiz. Ein Zimmergenosse bezichtigte ihn, widerrechtlich dessen Uhr an sich gebracht zu haben. Dafür wurde May zu einer Haftstrafe von sechs Wochen verurteilt. Er galt fortan als vorbestrafter Krimineller und wurde von der Liste der Lehramtskandidaten gestrichen. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit schlecht bezahltem Privatunterricht. Mit der Zeit ließ sich auf weitere Gaunereien ein: Diebstahl, Betrug und Hochstapelei. 1865 wurde Karl May zu vier Jahren Arbeitshaus verurteilt, verbüßte die Strafe u.a. in Schloss Osterstein in Zwickau.
Auch nach seiner Entlassung hier schaffte May es nicht, in einem bürgerlichen Leben fußzufassen. Festnahme wegen Betrug und Diebstahl, Flucht aus dem Gefängnis, erneute Festnahme wegen Landstreicherei in Böhmen. Nach seiner Auslieferung an die sächsische Justiz verbüßte er von 1870 bis 1874 eine Haft im Zuchthaus Waldheim. Nach der Entlassung kehrte er zu seinen Eltern nach Ernstthal zurück – und begann zu schreiben.
Der phantasiereiche Schriftsteller
In der expandierenden Zeitungs- und Zeitschriftenwelt der Gründerzeit gelang ihm der Berufseinstieg als Redakteur in einem Dresdner Verlag. Er zog 1878 mit seiner Freundin Emma Pollmer als freier Schriftsteller nach Dresden. Allerdings blieb das Einkommen schmal. Seine fantastischen Neigungen beschworen neue Konflikte herauf: 1879 folgte eine Verurteilung zu drei Wochen Arrest wegen Amtsanmaßung. Später bewies May seine Unschuld und wurde rehabilitiert. 1880 heiratete er Emma.
Das schreiben führte er fort, du das mit zunehmendem Erfolg für verschiedene Zeitschriften und Verlage. Einem größeren Publikum wurde er erstmals mit seinem „Orientzyklus“ (1880-88) bekannt, eine Serie von Erzählungen, die später auch als Romane veröffentlicht wurden. Um seine als Reiseliteratur deklarierten Publikationen erfand er eine persönliche Legende: Er sei der berühmte Old Shatterhand und habe die Abenteuer selbst erlebt.
Legende und Wahrheit
Seinen Phantasmen waren dabei keine Grenzen gesetzt: er ließ mythische Waffen wie „Bärentöter“ und „Silberbüchse“ fertigen (heute im Karl-May-Museum Radebeul), berichtete auf Vorträgen von Reisen in exotische Länder, in denen er nie war, behauptete 1.200 Sprachen und Dialekte zu sprechen – schließlich: er sei Nachfolger Winnetous und Oberhaupt der Apachen.
Sein Publikum schien das nicht zu stören, im Gegenteil, die verkaufte Auflage stieg. Seine Legende und sein Erfolg machten ihn angreifbar, vor allem die Presse stürzte sich auf ihn, witterte Skandale. Viele Gerichtsverfahren wegen mutmaßlicher unerlaubter Veröffentlichung begleiteten sein Leben. Erst 1899/1900 bereiste er tatsächlich den Orient, 1908 war er – nun mit seiner zweiten Frau Klara - in Amerika. Sein Schreiben veränderte sich in den späten Jahren. Themen wie Pazifismus und philosophische Fragen beschäftigten ihn jetzt.
Ein Autor, der seit jeher polarisiert
Trotz allem: Karl May erzielte Weltgeltung. Seine Bücher wurden in 46 Sprachen übersetzt und mit einer Auflage von ca. 200 Millionen Büchern gedruckt (davon ca. 100 Mio. in Deutschland). Ein eigenes Genre stellen inzwischen die vielen Karl-May-Verfilmungen dar. Bereits in den 1920er Jahren wurden erste Stummfilme produziert. Die Hochzeit der Verfilmungen fiel in die 1960er Jahre. Am bekanntesten sind wohl „Der Schatz im Silbersee“ und „Winnetou (Teil 1-3)“.
Die Meinungen über den Autor gehen seit jeher weit auseinander: von Abenteurerroman und Jugenderzählungen, über Reiseliteratur, Trivialliteratur bis Schundliteratur reichen die Etikettierungen. In kulturpolitischen Diskursen der neuesten Zeit wurden Themen wie rassistische Stereotype und Klischees besprochen. Gefragt wurde sogar, ob der Autor noch zeitgemäß sei und verlegt bzw. gelesen werden dürfe, Verlage nahmen Produkte aus ihrem Programm. Karl-May-Experten plädieren für ein ausgewogenes Urteil, das auf historischen und literaturwissenschaftlichen Fakten beruht. Für einseitige und einfache Urteile oder Verurteilungen sind Person und Werk von Karl May wohl sicher viel zu facettenreich.
Karl-May-Haus: Museum und Forschungsstätte
Im Geburtshaus, dem heutigen Karl-May-Haus, ist seit 1985 ein Museum in Trägerschaft der Stadt eingerichtet. Wenn es um valides Wissen zu Autor und Werk geht, ist man hier genau richtig. Es steht unter wissenschaftlicher Federführung des Historikers André Neubert, der von einem wissenschaftlichen Beirat unterstützt wird. Sachliche Information und ausgewogenes historisches Urteil sind die Leitlinien, wie auch der Titel der aktuellen Sonderausstellung zeigt: „Karl May in Amerika. Fantasie und Wirklichkeit“. Die Dauerausstellung informiert über Mays Biografie und zeigt viele Originalausgaben seiner Werke, nachgestaltete zeitgenössische Wohneinrichtung und eine Weberstube.
Eine typische Mentalität in Westsachsen
Innovationen und Traditionsbewusstsein, Offenheit und Zuwanderung sicherten seit jeher das Überleben der Bergbau- und Industrieregion Westsachsen. All das zeugt von vielen Transformationsprozessen, die weit in die Geschichte zurückreichen und teils bis heute andauern. Die Region war immer in Bewegung. Menschen kamen und gingen mit dem wirtschaftlichen Auf und Ab, erfanden sich kulturell neu und entwickelten Handwerk und Technik weiter. So ist es bis heute. Das industrielle Erbe und die Motorsporttradition spielen für die Identität der Menschen in Hohenstein-Ernstthal zentrale, große Rolle.
Zwei Geschichten der Stadt in einem Haus: Textil- und Rennsportmuseum Hohenstein-Ernstthal
Textilindustrie und Motorsport haben die letzten 100 Jahre das Leben in der Stadt und das Selbstverständnis der Menschen geprägt. Mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel nach der Deutschen Einheit wurden die meisten, vor allem die großen Textilbetriebe geschlossen. Die Wirtschaft hat sich neu sortiert, andere Branchen haben sich angesiedelt und ein neuer Mittelstand ist erfolgreich gewachsen.
Zurückgekehrt ist seit 1998 der internationale Motorrad Grand Prix auf dem Sachsenring. Darauf sind nicht nur die Einheimischen stolz, das Event ist ein Aushängeschild für ganz Sachsen. Im Textil- und Rennsportmuseum Hohenstein-Ernstthal, nahe dem Bahnhof in einer alten Textilfabrik gelegen, finden beide Geschichten zusammen.
Eine ungewöhnliche Verbindung, möchte man meinen, aber gerade das zeichnet die Stadt aus. Über 1.400 qm Ausstellungsfläche bieten Exponate zu Themen wie Jacquardweberei, Strumpfwirkerei, Strickerei, Stickerei und Wäscheindustrie. Außergewöhnlich ist, dass viele textile Techniken auf funktionsfähigen historischen Maschinen vorgeführt werden können.
Motorsportfreunde finden in der Ausstellung „Legenden vom Sachsenring“ interessante Fakten rund um die Entwicklung der Rennstrecke, dazu historische Straßenrennmaschinen, Rennsportkleidung, Pokale, Siegerkränze und spannende Zeitzeugeninterviews.
Große Bühne für den Grand Prix: Der Sachsenring bei Hohenstein-Ernstthal
Der Rausch der Geschwindigkeit lockt seit fast 100 Jahren Motorsportfreunde an. Gleich zum „1. Badberg-Vierecksrennen“ für Motorräder am 27.5.1927 kamen 140.000 Fans. Ab 1937 hieß die Strecke „Sachsenring“, ein 8,7 km langer Kurs durch und um die Stadt. Höhepunkte waren das Rennen 1950 mit 480.000 Fans und die Weltmeisterschaften von 1961 bis 1972. 1973 verbot die DDR die Teilnahme von Fahrern aus westlichen Ländern.
Seit 1996 existiert ein moderner Grand Prix Circuit mit internationalen Standards. Spektakulär und anspruchsvoll ist seine Linie mit extrem vielen Kurven und großen Höhenunterschieden. Beim Motorrad Grand Prix im Juli 2024 gab es einen Besucherrekord: 233.196 Motorsportfreunde kamen an den Sachsenring. Ein absolutes Mega-Event!
Für Weiterbildung, Firmenevents und Privatkunden gibt es das Fahrsicherheitszentrum am Sachsenring. Fahrerinnen und Fahrer aller Klassen von Auto über Motorrad und Lkw bis zum Bus können hier Trainings in diversen Schwierigkeiten und Leistungsklassen absolvieren.