Stollberg – Offene und geschlossene Tore
Mit der Erstbesiedlung des Erzgebirges erhält das Mainfränkische Adelsgeschlecht der Erkenbertinger eine Burg und Herrschaft als Reichslehen (13. Jh.). Der Bergbau konnte sich aufgrund zu geringer Erzfunde nicht etablieren, erst im 19.Jh. gab es geringe Steinkohlenförderung. Wirtschaftlichen Aufschwung brachten wohl eher das Salzmarkt-Privileg (1444) und die sich kreuzenden Handelswege: der Böhmische Steig zwischen Altenburg (heute: Thüringen) und Prag (Tschechien) sowie die Straße von Chemnitz nach Dresden.
Tor zum Erzgebirge: Spielball der Mächte
Über die Jahrhunderte blieben die Burg und später die sich entwickelnde Stadt ein Spielball der Mächte. Mehrmals wechselten die Herrschaften zwischen Erkenbertingern, den reichsunmittelbaren Schönburgern, dem König von Böhmen, den Grafen von Schwarzburg (heute: Thüringen) sowie den Markgrafen von Meißen und Kurfürsten von Sachsen (Wettiner ab 1564). Interessant war immer die Lage der Stadt als „Tor zum Erzgebirge“.
Im Bann des Chemnitzer Bleichmonopols
Im 17. Jh. etablierte sich als vorherrschendes Gewerbe die Tuchmacherei und Leineweberei. Wegen des Chemnitzer Bleichmonopols von 1357 gerieten die örtlichen Wertschöpfungsketten über viele Jahrhunderte in die Abhängigkeit des Chemnitzer Textilmarktes. Das führte häufig zu Streitigkeiten, nur geringe Mengen an Tuch für den privaten Hausgebrauch durften in Stollberg selbst gebleicht und verkauft werden. Das große Geschäft machten die Chemnitzer Bleicher und Tuchhändler. Erst im 19.Jh., mit Aufkommen der industriellen Strumpfwirkerei, wird die Stollberger Textilbranche unabhängig.
Heute ist Stollberg mit seinem großen Gewerbegebiet und den vielfältigen wirtschaftlichen Verbindungen nach Chemnitz ein Anziehungspunkt für die Hightech-Industrie.
Von der Burg zum Strafvollzug
Das prägende Bauwerk Stollbergs ist bis heute das über der Stadt thronende Schloss Hoheneck. Von der mittelalterlichen Burganlage ist nach dem Umbau zum Schloss im 16. und 17. Jh. durch den kurfürstlichen Baumeister Hans Irmisch nichts mehr zu sehen. Die heutige Gestalt erhielt die Anlage durch die Erweiterung zu einer großen Strafanstalt in den Jahren 1862 und 1886/87. Zuerst saßen Frauen in der damals sogenannten „Weiber-Zuchtanstalt“ ein, dann wurde es Landesstrafanstalt für Männer.
Politische Gefangene waren von Beginn an hier eingesperrt. Das blieb bis ins 20. Jh. so: während der Weimarer Republik saßen streikende Kohle-Bergleute ein, im Nationalsozialismus auch Widerstandskämpfer, nach 1945 Häftlinge der sowjetischen Militäradministration. Von 1950 bis 1989 inhaftierte das DDR-Regime im Frauengefängnis neben Straftäterinnen auch oppositionelle Frauen. Für diese prägte sich der Name „Hoheneckerinnen“. Bis zu 1600 Frauen waren zeitgleich inhaftiert und einem strengen Zwangsarbeitsregime ausgeliefert.
Hungerstreik der Frauen im Oktober 1953
Im Zuge des DDR-weiten Aufstandes am 17. Juni 1953 kam es auch im Zuchthaus Hoheneck zum Streik. Einige der inhaftierten Frauen traten in den Hungerstreik, um ihre Forderungen nach Verbesserung der Haftbedingungen Nachdruck zu verleihen. Politisch zu Unrecht von der sowjetischen Militäradministration zu sehr langen Haftstrafen verurteilt, forderten sie die Überprüfung ihrer Urteile durch deutsche Gerichte. Arglos vertrauten sie der Gerichtsbarkeit der DDR und ahnten nicht, dass der Streik im Gefängnis mit äußerst repressiven Maßnahmen niedergeschlagen wurde, die Gründe ihrer Inhaftierung und Urteile nicht überprüft und ihre Menschenrechte missachtet werden würden. Zeitzeuginnen berichten vom Streik und den unmenschlichen Haftbedingungen. Die Folgen des Hungerstreiks greifen bis heute tief in das Leben der betroffenen Frauen und ihrer Familien ein.
Das Ende des Zuchthauses 1989
Mit der politischen Wende im Herbst 1989 verweigerten die Frauen ihre Arbeit, einige traten in den Hungerstreik, um eine Amnestie zu bewirken. 169 Frauen mit politisch motiviertem Haftgrund kamen frei.
den Film “Der Hoheneck Komplex” anschauen
Seit der Schließung des Gefängnisses 2001 ist hier eine Gedenkstätte eingerichtet. Ab 2014 begann die Stadt Stollberg mit umfassenden Sanierungen und Umbauten. Die Gedenkstätte wird sukzessive ausgebaut, u.a. mit einer Ausstellung zum SED-Unrecht. Im Kulturhauptstadtjahr 2025 wird das neue Museum offiziell eröffnet. Seit 2017 gibt es die interaktive Lern- und Erlebniswelt Phänomenia für Kinder sowie das Kinder- und Jugendtheater Burattino.
Forum für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur e.V.
Seit 2019 engagiert sich ein Forum für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen in der SBZ/SED-Diktatur. Ziel ist es, die Schicksale der Frauen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, die in der Sowjetischen Besatzungszone und der SED-Diktatur als Unschuldige staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren. Besondere Formen der Repressionen gegen inhaftierte Frauen wie sexuelle Gewalt, Androhung der Kindeswegnahme, erzwungene Adoptionen und deren Langzeitfolgen werden öffentlichkeitswirksam benannt. Der Verein tritt somit auch dafür ein, nachhaltig das demokratische Bewusstsein zu stärken.
Der Soundtrack des Purple Path: Jehmlich-Orgel in der St. Jakobi Stadtkirche
Die evangelische Stadtkirche St. Jakobi in Stollberg ist eine barocke Saalkirche (erbaut 1653-59), wie sie für das Erzgebirge sehr typisch ist. In ihrer frühen Baustruktur ist sie erhalten, wurde aber im Laufe des 19. Jh. mit neugotischen Ausbauten versehen. Bemerkenswert ist die Geschichte der Orgel. Sie baute der sächsische Orgelbaumeister Carl Eduard Jehmlich (erbaut 1884) aus Dresden. Aber ursprünglich nicht für Stollberg, sondern für Olbersdorf bei Zittau/Oberlausitz.
1986 musste Olbersdorf einem Braunkohletagebau weichen. Die Orgel konnte gerettet werden, erhielt eine umfassende Sanierung und wurde schließlich in St. Jakobi in Stollberg eingebaut – in ein originales Jehmlich-Orgel-Gehäuse, geschaffen von der 1. Jehmlich-Generation.
Carl Eduard Jehmlich (1862-1889) führte die namhafte Orgelbaufirma in 2. Generation und schuf etwa 50 Orgelinstrumente. 1808 begründeten die Brüder Gotthelf Friedrich, Johann Gotthold und Carl Gottlieb die Orgelbautradition der Familie im erzgebirgischen Cämmerswalde. Seit 2006 führt Ralf Jehmlich das Unternehmen in 6.Generation in Dresden. Damit ist Jehmlich Orgelbau die älteste, noch bestehende Orgelbauermanufaktur der Welt.
Ältäre zum Niederknien: St. Marien Stollberg
Die Stollberger Sankt Marienkirche ist das älteste Gebäude der Stadt und stammt aus dem 13.Jh. Das in seinen Ursprüngen romanische Bauwerk mit gotischen Umbauten ziert auch das Siegel und das Wappen der Stadt. Wesentliche Teile der historischen Substanz sind erhalten, etwa der spitzbogige Triumphbogen aus dem 13.Jh. oder der Chorneubau und das Kreuzrippengewölbe aus dem 14.Jh. In der zweiten Hälfte des 15.Jhs. baute man das Langhaus als zweischiffige, dreijochige Pfeilerhalle in spätgotischem Stil aus.
Sehenswert sind der spätgotische Schnitzaltar, die Kanzel aus dem Jahre 1600 und die während der Sanierung freigelegte Bemalung der Decke und der Gewölberippen. Sie ist in dieser Form einmalig in Sachsen. Seit 1993 dient die Kirche nach denkmalgerechter Sanierung wieder als Gotteshaus der katholischen Gemeinde. Nach Jahrzehnten des Verfalls hatte die Kirchgemeinde bereits in den 1980er Jahren in Eigeninitiative mit den Erhaltungsarbeiten begonnen.
Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Altarverhüllungen – Interventionen zur Passion“ installierte die Künstlerin Katja Lang eine Altarverhüllung in St. Marien Stollberg. Die Kunstaktion ist ein Projekt der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 und findet auch in Schneeberg, Frankenberg und Langenstriegis statt.
Baumeister der Renaissance. Inhaftierte Schriftstellerin.
Der kurfürstliche Baumeister: Hans Irmisch (1526-1597)
Hans Irmisch ist ein Name, der für die Architekturgeschichte Sachsens im 16.Jh. sehr bedeutsam ist. Er wurde in Stollberg geboren und erlebte einen bemerkenswerten sozialen und beruflichen Aufstieg vom Maurer zum kurfürstlichen Baumeister. Hauptsächlich arbeitete er an militärische Festungsbauten, wie die Stadtbefestigung Dresden, sowie kurfürstliche Schlösser und Repräsentanzen.
Einige seiner berühmtesten Bauwerke lassen sich noch heute besichtigen: das Dresdner Zeughaus (heute: Museum Albertinum), das Kanzleihaus Dresden (ehemals zur Residenz gehörig, heute: Bischofssitz), der Kleine Schlosshof im Dresdner Residenzschloss und die Renaissance-Umbauten am Schloss Hartenfels in Torgau.
Bauwerke von Hans Irmisch am Purple Path:
Grablege des Kurfürsten Moritz (1521-1553) im Freiberger Dom
Renaissance-Umbau Schloss Freudenstein (Freiberg)
Umbau Schloss Hoheneck (Stollberg)
Die Schriftstellerin und Künstlerin: Gabriele Stötzer (*1953)
Gabriele Stötzer studierte Germanistik und Kunsterziehung in Erfurt und kam in jener Zeit mit der Jenaer Literatur- und Kunstszene um Schriftsteller und Bürgerrechtler Jürgen Fuchs in Verbindung. Im November 1976 beteiligte sie sich mit ihrer Unterschrift am Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Stötzner wurde von der Staatssicherheit verhaftet und zu einem Jahr Haft wegen „Staatsverleumdung“ verurteilt.
Während ihrer Haftzeit im Zuchthaus Hoheneck in Stollberg fasste sie den Entschluss, mit dem Schreiben autobiografischer und experimentelle Texte zu beginnen. Nach ihrer Entlassung aus der Haft lehnte sie es ab, in den Westen auszureisen. Zwangsweise musste Stötzner in der Produktion arbeiten, um sich als Staatsbürgerin der DDR wieder zu „bewähren“, so der offizielle Duktus damals.
1980 kündigte sie und leitete dann eine private Kunstgalerie für Werke aus der alternativen Szene in Erfurt. Künstlerinnen und Künstler aus Thüringen und der gesamten DDR stellten hier aus. Von der Staatssicherheit wurde diese „Galerie im Flur“ aufgrund ihrer Resonanz als zu „gefährlich“ eingestuft und 1981 „liquidiert“. Trotzdem arbeitete Gabriele Stötzner weiterhin als Autorin, publizierte u.a. bei den Verlagen Neues Leben und Aufbau, und als Künstlerin mit Fotografie, Film, Grafik und Weberei. 1984 war sie Mitgründerin der Künstlerinnengruppe Erfurt. Manche ihrer Werke erschienen in Untergrundzeitschriften (und, mikado, ariadnefabrik, KomaKino).
Vor der Wende war Stötzer-Kachold Mitbegründerin in einer Erfurter Gruppe namens „Frauen für Veränderung“. Sie war am 4. Dezember 1989 Mitinitiatorin der ersten Besetzung einer Zentrale der Staatssicherheit in der DDR in Erfurt und wirkte anschließend im Bürgerrat und Bürgerkomitee mit. 1990 war sie Mitbegründerin des Erfurter Vereins „Kunsthaus“. Endlich konnte Gabriele Sötzer frei publizieren sowie im In- und Ausland die Facetten ihres künstlerischen Schaffens zeigen.
Zum Tag der Deutschen Einheit 2013 verlieh ihr Bundespräsident Joachim Gauck das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. 2022 erschien ihr Buch „Der lange Arm der Stasi“, in dem sie die Geschichte einer widerständigen Erfurter Künstlergruppe in der DDR erzählt.
Eine typische Mentalität im Erzgebirge
Innovationen und Traditionsbewusstsein, Offenheit und Zuwanderung sicherten seit jeher das Überleben der Montanregion Erzgebirge. All das zeugt von vielen Transformationsprozessen und politischen Umbrüchen, die weit in die Geschichte zurückreichen und teils bis heute andauern. Die Region war immer in Bewegung. Menschen kamen und gingen mit dem wirtschaftlichen Auf und Ab, erfanden sich kulturell neu und entwickelten Handwerk und Technik weiter. So ist es bis heute. An manchen Orten spielen die Vergangenheitsbewältigung, die Diktaturerfahrungen und das historische Gedenken eine besonders wichtige Rolle.
Ausstellung zum SED-Unrecht: Gedenkstätte Hoheneck
Insgesamt 24.000 Frauen waren während DDR-Zeit im Zuchthaus Hoheneck inhaftiert, davon 8.000 aus politischen Gründen. Seit 2019 laufen umfangreiche Baumaßnahmen, die im Kulturhauptstadt-Jahr 2025 abgeschlossen sein sollen. Dann eröffnet das neue Museum, sodass der Zellentrakt im Rahmen von fachkundigen Führungen wieder besichtigt werden kann.
Zugleich soll die Gedenkstätte auch ein Anlaufpunkt für die Frauen sein, die einen schmerzvollen Teil ihres Lebens hier in Hoheneck verbringen mussten. Allen Opfern von Gewalt der SED-Diktatur soll so würdig gedacht werden. Für Besucherinnen und Besucher jedes Alters ist die Gedenkstätte Hoheneck auch ein Lern- und Begegnungsort.
Interaktive Lern- und Erlebniswelt: Phänomenia
Wissen ist das kulturelle Kapital der Zukunft. Die interaktive Lern- und Erlebniswelt Phänomenia auf dem Gelände der Gedenkstätte Hoheneck möchte die Wissbegierde von Kindern und Jugendlichen fördern. Schulklassen und Familien können hier spielerisch und experimentell forschen, um ihre Lebenswelt zu erkunden und Verblüffendes aus den Naturwissenschaften zu entdecken.
Theaterpädagogisches Zentrum: Kinder- und Jugendtheater Burattino
Das Theaterpädagogisches Zentrum Burattino in Stollberg, das sich auf dem Gelände der Gedenkstätte Hoheneck befindet, ist ein künstlerisch-kreatives Angebot. Als Bildungseinrichtung möchte es die geistige und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendliches beflügeln. Kunst und Kreativität der Theaterarbeit sind hier die Ressourcen zur Förderung von Gemeinschaft und sozialen Werten.
Mobilität von Morgen: IAV Engineering in Chemnitz und Stollberg
IAV ist einer der global führenden Engineering-Dienstleister der Automobilindustrie. Am Standort in Chemnitz wurden einst die legendären Silberpfeile der Auto Union gebaut. Seit mehr als 100 Jahren findet hier Industrieentwicklung, Maschinen- und Anlagenbau statt. Heute stehen innovative Mobilitätskonzepte und die im Fokus. Einen weiteren Standort hat IAV im großen Stollberger Gewerbegebiet. Es zählt zu den größten Entwicklungszentren von IAV für die Automobil- und Zuliefererindustrie. Vielfältige Kooperationen unterhält das Unternehmen zu den erstklassigen Universitäten und Forschungseinrichtungen der Region.
Aufgewachsen in Stollberg: Schauspielerin Teresa Weißbach
Mit 17 Jahren wurde Teresa Weißbach mit ihrem Schauspieldebüt sofort deutschlandweit bekannt. Als Miriam Sommer spielte sie eine der Hauptrollen in der erfolgreichen Filmkomödie „Sonnenallee“ von Leander Haußmann. Seit 2019 spielt sie die Försterin Saskia Bergelt in der ZDF-Reihe „Erzgebirgskrimi“, den regelmäßig fünf bis sieben Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgen.
Geboren wurde Teresa Weißbach in Zwickau, aufgewachsen ist sie in Stollberg, wo ihre Eltern eine Bäckerei führten. 1999 bis 2003 studierte sie an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Sie erhielt u.a. Engagements am Volkstheater Rostock, am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, bei den Bayreuther Festspielen und am Burgtheater Wien.