Amtsberg – Neue Vermessung der Landschaft
Amtsberg liegt in der sanften Hügellandschaft südlich von Chemnitz, zwischen den erzgebirgischen Flüssen Zwönitz und Zschopau. Die ländliche Gemeinde wurde 1994 zusammengeschlossen aus den vier Ortsteilen Weißbach, Dittersdorf, Schlößchen und Wilischthal.
Weißbach
Weißbach geht zurück auf ein Waldhufendorf, das im 12.Jh. besiedelt wurde. Landwirtschaft und Bauernhöfe dominieren über Jahrhunderte im Unterdorf, bis sich im Oberdorf ab dem 17.Jh. das Textilgewerbe ansiedelt. Die lange Tradition der Strumpfherstellung und der Leinenweberei sowie ab dem 18. Jh. auch die frühindustrielle Weberei und Wirkerei sind im kulturellen Gedächtnis der Einwohnerinnen und Einwohner präsent.
„Mini-Weißbach“ , eine Miniatur-Schauanlage zeigt detailreich und farbenfroh typische Gebäude der Gemeinde in landschaftlicher Einbettung. Einige der Modellhäuser, wie die Mühle, haben sogar bewegliche Mechaniken. Zur Adventszeit wird das Miniaturdorf nach erzgebirgischer Tradition weihnachtlich beleuchtet. Um die Pflege kümmern sich die Mitglieder des Heimatvereins Weißbach e.V.
Dittersdorf
Dittersdorf war ursprünglich ebenfalls ein Waldhufendorf, das im 12.Jh. von Einwanderern aus dem Fränkischen besiedelt wurde. Landwirtschaftliche Höfe und die Leineweber ließen sich hier nieder. 1694 baute man im Ort ein Eisenhammerwerk, das später zur Filzfabrik umfunktioniert wurde. Das 19.Jh. stand ganz im Zeichen der industriellen Textilbetriebe, z.B. Spinnerei und Strumpfwirkerei. Sehenswert ist die Evangelische Pfarrkirche, eine barocke Saalkirche aus dem frühen 18.Jh. mit einem reich geschnitzten Kanzelaltar aus Holz.
Schlößchen und Wilischthal
In der Ortslage Schlösschen/Wilischthal kündet das ehemalige Rittergut aus der 2. Hälfte des 16.Jhs. von der Entstehung dieses Areals. Noch ein Hof mit drei Gebäuden und die Renaissanceportale sind von der ehemaligen landwirtschaftlichen Anlage erhalten. In der Teilgemeinde Wilischthal produzierte bis 1995 eine große Papierfabrik. Sie war 1856 aus einer Textilspinnerei hervorgegangen. 1992 reprivatisierte man die Papierfabrik aus dem ehemaligen Volkseigentum der DDR. Sie konnte sich aber im Markt nicht behaupten. Transformationsgeschichten wie diese gibt es viele in Amtsberg.
Auch wenn die Textilbetriebe und die Papierfabrik schon seit drei Jahrzehnten keine wirtschaftliche Basis mehr bieten, gehen die vier ländlichen Gemeinden im Verbund ihren Weg konsequent in die Zukunft: als lebenswerte Ortsteile mit Raum für künstlerische Kreativität, mit sehenswerten touristischen Angeboten in der wunderschönen Landschaft und mit neuen innovativen Firmen.
Dittersdorfer Höhe: Triangulation 1869
Vom höchsten Punkt der Gemeinde Amtsberg, der Dittersdorfer Höhe auf 554 m, schweift der Blick weit über das endlose Grün des Erzgebirges. Wo heute Touristen diese wunderbare Aussicht genießen, wurde einst Technikgeschichte geschrieben. Im Jahre 1869 fand die große Landesvermessung Sachsens statt, die „Königlich-Sächsische Triangulierung“. Federführend dabei war der Geodäsieprofessor Christian August Nagel (1821-1903) von der Technischen Bildungsanstalt Dresden, heute Technische Universität.
Auf der weithin sichtbaren Dittersdorfer Höhe wurde ein sogenannter Triangulationspunkt installiert. Das war ein fester Vermessungspunkt, der mit einer festen Marke auf einer Steinsäule markiert war. Von diesem Punkt aus konnten die Entfernungen zu anderen markanten Erhebungen der Landschaft bestimmt werden.
Über die vermessenen Winkelbeziehungen, die sich aus der Verbindung von jeweils drei Höhenmarken zu einem Dreieck ergaben, ließen sich mittels Peilscheiben oder Theodolit exakte Entfernungen berechnen. Insgesamt 158 solcher Peilpunkte und Stationen umfasste das Vermessungssystem, das zur exakten Kartierung der Landschaft diente. Die meisten der steinernen Vermessungssäulen mit Inschrift sind heute noch erhalten und gelten als technische Denkmale.
Später wurden an diesen Vermessungspunkten häufig trigonometrische Vermessungstürme aus Holz gebaut, die man anpeilen konnte und häufig auch mit Aussichtsplattformen versehen waren. Olaf Holzapfels Kunstwerk „Zwei in einander Gewobene“ am Purple Path auf der Dittersdorfer Höhe erinnert mit seiner Konstruktion an diese Trigonometrischen Türme.
Altäre zum Niederknien: Pfarrkirchen Dittersdorf und Weißbach
Die evangelische Pfarrkirche in Dittersdorf ist eine typische barocke Saalkirche (1730). Ihr reich geschnitzter Kanzelaltar stammt noch aus der Erbauungszeit. Gestaltungselemente sind die bildliche Darstellung des Abendmahls, aufwändige Schmuckelemente wie die großen Ranksäulen, die Engelsfiguren am Kanzelkorb sowie ein kronenähnlicher Aufsatz mit einem exotischen Pelikan samt Jungvögeln.
Für Weißbach ist sogar schon eine mittelalterliche Kirche bezeugt, die 1782 zu einem rechteckigen Saal mit Emporen und Walmdach erweitert wurde. Auch sie wurde mit einem hölzernen Kanzelaltar ausgestattet. Aus der alten Kirche vor dem Umbau blieb sogar noch der Taufstein mit den vier Kinderfiguren (17.Jh.) erhalten.
Der Sound des Purple Path: Jehmlich-Orgel in der Pfarrkirche Weißbach
Interessant, sehens- und hörenswert ist in der Weißbacher Kirche das Instrument des sächsischen Orgelbaumeisters Carl Gottlieb Jehmlich von 1828. Jehmlich Orgelbau hinterließ über mehr als 200 Jahre in ganz Sachsen seine musikhandwerklichen Spuren. 1808 begründeten die Brüder Gotthelf Friedrich, Johann Gotthold und Carl Gottlieb die Orgelbautradition der Familie im erzgebirgischen Cämmerswalde. Seit 2006 führt Ralf Jehmlich das Unternehmen in 6.Generation in Dresden. Damit ist Jehmlich Orgelbau die älteste, noch bestehende Orgelbauermanufaktur der Welt.
Zukunft machen: Eine typische Mentalität im Erzgebirge
Innovatonen und Traditionsbewusstsein, Offenheit und Zuwanderung sicherten seit jeher das Überleben der Montanregion Erzgebirge. All das zeugt von vielen Transformationsprozessen, die weit in die Geschichte zurückreichen und teils bis heute andauern. Die Region war immer in Bewegung. Menschen kamen und gingen mit dem wirtschaftlichen Auf und Ab, erfanden sich kulturell neu und entwickelten Handwerk und Technik, Kunst und Kultur weiter. So ist es bis heute.
Der Grafiker und Druckkünstler: Thomas Ranft (*1945)
Der gebürtige Thüringer Thomas Ranft studiert von 1967 bis 1972 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Nach dem Studium zieht er nach Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, und wird einem größeren Publikum bekannt. Denn 1977 gründete er zusammen mit Michael Morgner, Carlfriedrich Claus, Dagmar Ranft-Schinke und Gregor-Torsten Schade die Künstlergruppe und Produzentengalerie CLARA MOSCH (1977–1982) in Adelsberg, einem Stadtteil von Karl-Marx-Stadt/Chemnitz.
Im offiziellen Kunstbetrieb der DDR fand ihre Kunst keine Beachtung und keinen Platz. Mit ihren Aktionen erregen sie nicht nur Aufmerksamkeit in der Kunstszene, sondern auch bei der Staatssicherheit. Sie werden bespitzelt, doch alle Drohungen und Einschüchterungen können die unendliche und teilweise subversive Kreativität nicht bremsen. Von 1986 bis 1989 lehrt er an der Fachschule für Angewandte Kunst in Schneeberg . Seit den 1990er Jahren stellt er seine Grafik und Druckkunst deutschlandweit, in der Schweiz und in den USA aus. Thomas Ranft lebt und arbeitet im Amtsberger Ortsteil Dittersdorf.
Unternehmer Rainer Hollnagel: Flexiva automation & Robotik GmbH
Seit 1990 plant und produziert Flexiva individuelle Automatisierungslösungen für diverse Branchen. Die Firmenznetrale befindet sich in einer ehemaligen Strumpffabrik, die 1998 restauriert wurde. Chef Rainer Hollnagel baute das Unternehmen mit Partnern sukzessive aus und spezialisierte es u.a. auf die Elektro- und Pneumatikplanung von Schaltschränken und Robotiklösungen. Hierbei deckt man sowohl das Engineering und die Serienfertigung als auch den Sondergerätebau ab. Mehr als 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erbringen Engineering-, Fertigungs- und Programmierungsleistungen. Eine sehr innovative Abteilung von Flexiva entwickelt und fertigt neue Lösungen für die Energieversorgung von Nutzfahrzeugen im Bereich alternative Antriebe, z.B. Straßenbahnen. Im Fokus steht die Wasserstofftechnologie mit Brennstoffzellensystemen und elektrischen Speichern.
Auch was die eigene Nachhaltigkeit angeht, ist Flexiva gut aufgestellt: eigene E-Ladesäulen für die firmeneigenen Elektroautos, eine eigene Photovoltaik-Anlage auf dem Dach der energieeffizienten Produktionshalle sowie eine reversible Wärmepumpe für Heizung im Winter und Kühlung im Sommer, die von einem eigenen Windrad mit Strom versorgt wird. Die große Schmetterlingswiese hinter der Werkhalle bietet vielen Insektenarten einen Lebensraum.
Unternehmerin Mandy Haase: Emes Kabelbaum Konfektions GmbH
Flexibilität – dieses Wort liest man als erstes, wenn man auf die Website der Emes Kabelbaum Konfektions GmbH klickt. Nicht nur vom Produkt Kabel wird ja Flexibilität im Einsatz verlangt, auch die Menschen hier in der Region mussten immer wieder flexibel sein. Nicht zuletzt aufgrund des Strukturwandels nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990, in dem es umzudenken und umzulernen galt. Aber wie immer im Erzgebirge: Wenn ein Wirtschaftszweig nicht mehr funktioniert, dann wird gemeinsam versucht, einen neuen zu etablieren.
Häufig waren Frauen die Initiatorinnen dieses Wandels, denkt man etwa an die Annaberger Bergbau- und Textilunternehmerin Barbara Uthmann im 16.Jh. Typisch für die Region Erzgebirge sind deshalb bis heute die starken Unternehmerinnen. 2001 wurde das Unternehmen Emes von Mandy Haase in Hohndorf gegründet und beschäftigt heute mehr als 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Alles begann mit Kabelbäumen für die traditionellen ostdeutschen Zweiradmarken MZ und Simson.
2007 richtete sich das Unternehmen neu aus, gewann neue Kunden und wuchs stetig, sodass 2014 ein neuer und größerer Produktionsstandort in Amtsberg gebaut werden konnte. Mit dieser Erfolgsgeschichte wurde Mandy Haase im Jahre 2016 zu „Sachsens Unternehmerin des Jahres“ gekürt. Dank der innovativen Produktionsvielfalt konnte 2020 eine weitere neue Werkhalle gebaut werden. Momentan arbeitet Mandy Haase mit ihrem Team an der Digitalisierung von Produktion und Arbeitsplätzen.