Fotografin Maria Sturm im Interview

Foto: Peter Rossner

Seit dem 17. Januar hängen Porträts von über 160 Chemnitzer Garagenbesitzer:innen in 50 Geschäften der Stadt. Wir haben mit der Fotografin über ihre Ausstellung Mitgliederversammlung gesprochen.

 

Frau Sturm, Ihre Bilder porträtieren Chemnitzer Garagenbesitzer:innen. Wie haben Sie die Menschen gefunden, die Sie zeigen? 

Maria Sturm: Die Begegnung mit den Garagenbesitzer:innen in Chemnitz war ein organischer Prozess. Zum einen war ich in verschiedenen Garagenhöfen unterwegs und sprach die Menschen direkt vor ihren Garagen an. Oft ergaben sich aus diesen Begegnungen spontane und intensive Gespräche, denn Garagen sind für viele Menschen persönliche Refugien, in denen sie ihren Gedanken und Projekten nachgehen können. Zum anderen spielte das Team von #3000Garagen eine wichtige Rolle, denn sie vermittelten den Kontakt zu Garagenbesitzer:innen, die sie bereits aus ihrer bisherigen Arbeit auf den Garagenhöfen kannten. Diese Mischung aus spontanen Begegnungen und gezielten Vermittlungen hat es mir ermöglicht, ein breites Spektrum der Garagenkultur in Chemnitz zu zeigen - von den ganz alltäglichen bis hin zu den ungewöhnlichen Geschichten, die sich hinter diesen Toren verbergen. 

Es war dabei für mich besonders wichtig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Offenheit der Menschen und ihr Vertrauen, mich in ihre privaten Welten eintauchen zu lassen, hat es ermöglicht, authentische und persönliche Porträts zu schaffen. 

Viele denken bei einer Garage einfach an einen praktischen Ort zum Abstellen von Autos oder Werkzeugen. Was haben Sie durch Ihre Arbeit über die Bedeutung dieser Orte gelernt? 

MS: Die meisten Menschen nutzen ihre Garagen genau dafür: zum Abstellen ihrer Autos und Werkzeuge. Doch Garagen sind weit mehr als nur funktionale Räume - sie sind Orte voller Geschichten, Potenziale und Bedeutungen. Durch meine Arbeit habe ich gelernt, dass Garagen oft eine Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum darstellen. Sie können Rückzugsorte, Werkstätten, Ideenschmieden oder soziale Treffpunkte sein. 

 

Gibt es ein bestimmtes Erlebnis oder eine Begegnung, die Ihnen während der Arbeit an „Mitgliederversammlung“ besonders in Erinnerung geblieben ist? 

MS: Ich denke da an Andreas, einen der ersten Menschen, die ich fotografiert habe. Er ist Vater von neun Kindern, und bei unserem ersten Treffen habe ich ihn mit seinem Sohn Samuel fotografiert. Später traf ich ihn noch einmal mit seiner Frau Claudia und ihrer Tochter Sonja, die gerade laufen gelernt hatte. Es war rührend zu sehen, wie die kleine Sonja ihm beim Schrauben half - mit einer Mischung aus kindlicher Neugier und der Freude, Zeit mit ihren Eltern zu verbringen. Am Ende hatte ich die Gelegenheit, Andreas mit seiner ganzen Familie zu fotografieren. Diese Momente haben mir gezeigt, wie wichtig Garagen als Familienräume sind, die nicht nur praktischen Zwecken dienen, sondern auch Orte des Zusammenseins und der Verbundenheit sind. 

Was erhoffen Sie sich, dass die Chemnitzer oder Besucher der Stadt von diesen Porträts mitnehmen? Gibt es bestimmte Perspektiven, die Sie aufzeigen wollen? 

MS: Ich wünsche mir, dass die Chemnitzer und die Besucher der Stadt durch die Porträts ein tieferes Verständnis für die Menschen gewinnen, die ihre Stadt prägen. Die Fotografien sollen die Komplexität und Vielfalt des menschlichen Ausdrucks zeigen: Die Garagen erinnern mich an Jugendzimmer, in denen sich Menschen innerhalb eines vorgegebenen Raumes eine persönliche Identität schaffen. Die Art und Weise, wie diese Garagen gestaltet und organisiert sind, ist ein subtiler Ausdruck von Individualität und Kreativität in einem scheinbar alltäglichen Umfeld. Sie sind eben auch Orte der Selbstverwirklichung.   

Letztlich hoffe ich, dass die Besucher:innen der Stadt erkennen, wie wichtig es ist, dass Kunst und Fotografie auch in alltägliche Räume kommen, um auf diese Weise auch Menschen zu erreichen, die sich nicht in klassischen Kunstkontexten wiederfinden. Die Porträts sollen ein Gefühl der Verbundenheit und des Dialogs anregen – jenseits von Stereotypen und Normen. 

 

Ihre Fotos sind in verschiedenen Kontexten – ob in einem Modegeschäft oder in einer Buchhandlung – zu sehen. Was bedeutet es für Sie, dass die Besucher der Innenstadt Ihre Kunst quasi im Vorbeigehen entdecken können? 

MS: Mir ist es wichtig, dass Kunst in den Alltag integriert wird, denn so wird sie für alle zugänglich und demokratisch. Museen und Galerien sind oft exklusive Orte, an denen sich nicht jeder wohl oder willkommen fühlt. Wenn Besucher die Fotos im Vorbeigehen entdecken, ist das eine Einladung, die Geschichten der abgebildeten Menschen auf eine weniger formelle, vielleicht sogar überraschende Weise zu erleben. Es entsteht ein Dialog, der Menschen auf einer emotionalen und nachdenklichen Ebene verbindet. Diese Art der Verbindung kann das gegenseitige Verständnis erweitern und den sozialen Austausch fördern, ohne dass eine formelle Einladung oder eine bestimmte Erwartungshaltung notwendig ist. 

Die Ausstellung ist vom 17. Januar bis 26. April 2025 in 50 Geschäften des Chemnitzer Einzelhandels zu sehen. In der zweiten Jahreshälfte wird sie im Garagen-Campus an der Zwickauer Straße gezeigt. Eine interaktive Karte lädt zum Entdecken ein.

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