Jahnsdorf – Einfach abheben.
Jahnsdorf wurde um das Jahr 1170 als Waldhufendorf gegründet. Über die Jahrhunderte war der Ort, zu dem heute auch die Ortsteile Leukersdorf, Seifersdorf und Pfaffenhain gehören, ein ländlich geprägter Raum. Erst im 19.Jh. kamen, ausgehend von Chemnitz, erste Industrialisierungsimpulse. Die Bevölkerung wuchs. Heute leben hier ca. 5.500 Menschen.
Die schöne Landschaft am Beginn des Erzgebirges ist trotz des Wandels geblieben. Land und Arbeit, Mensch und Natur sind im Einklang, wenn auch nicht ohne Brüche in den Biografien. Nach der politischen und wirtschaftlichen Transformation nach 1989 fühlen sich die Menschen heute hier wieder wohl, haben eine neue Balance gefunden. Unternehmen gedeihen in Jahnsdorf, sowohl Mittelständler der Metallverarbeitung, wie Püschmann Maschinenbau und markSTAHL Präzisionsstahlrohre, als auch größere internationale Firmen wie ABUS, eine bekannte Marke für mechanische Sicherheitstechnik.
Airport Chemnitz: Abgehoben? Abheben!
Ein Symbol für de Aufschwing ist der Flugplatz Jahnsdorf, offiziell als Verkehrslandeplatz Chemnitz/Jahnsdorf bezeichnet. Privat- und Geschäftsreisende nutzen die Möglichkeit, um schnell in die Wirtschaftsregion Chemnitz zu kommen. Mit Rundflügen, Ballonfahrten und Flugschulen geht es auch für ein breiteres Publikum in die Höhe.
Das Abheben ist hier ganz real: einerseits im Sinne des Fliegens, andererseits im übertragenen Sinne. Vertrautes Terrain verlassen, um Neues zu probieren, sich im positiven Sinne unterscheiden, aber immer wieder auf sicherem Grund landen. Wissen, was man kann und wo man hingehört. Diese Mentalität ist entscheidend, um im ländlichen Raum eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.
Das Mindset in Jahnsdorf ist klar ausgerichtet: Neues wagen, nach Vorn denken. Hier organisieren schon mal zwei Landwirtfamilien einen "Stadeltransfer" von Bayern nach Sachsen, um wertvolles Kulturgut zu bewahren. Oder eine weltgewandte Gastronomin erzählt mit kulinarischen Theaterstücken die Geschichte des Erzgebirges als Schmelztiegel der Kulturen.
Kunst am Bahnhof: Zusammensitzen auf sozialen Bänken
Jeppe Hein kreierte im Jahre 2019 in Venedig die „Modified social Bench for Venice“. Sie entlehne ihre Grundform zwar den allgegenwärtigen Park- oder Gartenbänken. Ihr Design werde jedoch in unterschiedlichem Maße verändert, schreibt der Künstler auf seiner Website, um das Sitzen zu einem bewussten physischen Prozess zu machen. Somit stellen die Bänke die räumlichen Trennungen in sozialen Situationen in Frage und hinterfragen den Raum, den Menschen zwischen sich und anderen für nötig halten.
Durch ihre Modifikationen würden die Bänke ihre Umgebung in Orte sozialer Aktivität verwandeln und den Dialog zwischen den Benutzern und den Passanten fördern, so Hein weiter. Menschen seien eingeladen, eine aktive Rolle zu spielen, indem sie die Bänke nicht nur als Sitzgelegenheiten nutzen, sondern die Möglichkeiten sozialer und kommunikativer Praxis erweitern würden.
Platz nehmen: Was haben wir uns zu sagen?
Diese Idee der “Sozialen Bänke” lässt sich überall dort realisieren, wo viele Menschen zusammenkommen, zum Beispiel an Bahnhöfen. Jeder Mensch darf hier Platz nehmen neben jedermann und jederfrau. Dabei entsteht die Frage: Was haben wir uns zu sagen? Ein offenes kleines Experiment, um Menschen zum Kommunizieren zu bewegen. In der Reihe der „Kunst am Bahnhof“ und der bereits etablierten Kunstbahnhöfe entlang des Purple Paths schuf Jeppe Hein auch eine „Social Bench“ für den Bahnhof Jahnsdorf.
Zukunft machen: Eine typische Mentalität im Erzgebirge
Innovationen und Traditionsbewusstsein, Offenheit und Zuwanderung sicherten seit jeher das Überleben der Montanregion Erzgebirge. All das zeugt von vielen Transformationsprozessen, die weit in die Geschichte zurückreichen und teils bis heute andauern. Die Region war immer in Bewegung. Menschen kamen und gingen mit dem wirtschaftlichen Auf und Ab, erfanden sich kulturell neu und entwickelten Handwerk und Technik weiter. So ist es bis heute.
Stadeltransfer von Bayern nach Sachsen: Hofmarkt Ziegs
Man stelle sich folgende Szenerie vor: Ein alter Heustadel hebt in Bernbeuren in Bayern ab und landet im erzgebirgischen Jahnsdorf. Was ging da vor sich? Georg und Maria Huber hatten keine Verwendung mehr für den Stadel, wollten Platz auf ihrem Hof schaffen. Aber das Holz, an dem so viel Familiengeschichte hängt, einfach zersägen und entsorgen? Das kam auf keinen Fall in Frage.
Diana und Peter Ziegs aus Jahnsdorf, die hier seit 1991 einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mit Hofmarkt und regionalem Direktvertrieb führen, hatten den Platz und eine neue Idee. Man könne doch den alten Heustadel aus Bayern hier in Sachsen wieder aufbauen, ganz neu herrichten und als Kulturscheune nutzen. Gesagt. Getan. Beim jährlichen Hoffest im Mai können sich die Gäste ein Bild davon machen, wie weit das Projekt fortgeschritten ist.
Die Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 unterstützte das Vorhaben. Die Künstlerin Anastasia Koroshilova erstellte dazu eine Fotodokumentation des „Stadeltransfer von Bernbeuren nach Jahnsdorf“ als Kunstprojekt.
Die weltgewandte Gastronomin: Claudia Lappöhn
Die Sportgaststätte Leukersdorf ist in Jahnsdorf eine echte Institution. Eine Kneipe am dörflichen Bolzplatz? Echt jetzt? Halt mal: Wie man Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilen sollte, kann man auch Gastronomie nicht nach ihrem Namen bewerten. Worte können beim ersten Lesen trügerisch sein. Aber es lohnt sich, einen Blick in die Sportgaststätte zu werfen.
„Wir sind Vollwertjunkies“, sagt Köchin und Inhaberin Claudia Lappöhn über ihre Küche. Damit sind schon mal alle Klischees rund um Currywurst und Pommes vom Tisch. Gesunde, saisonale Gerichte mit Zutaten aus der Region stehen auf der Speisekarte ihres Restaurants. Keine Geschmacksverstärker und keine Industrieware, stattdessen traditionsbewusste Frische nach Familienrezepten. Hier kommt nur Wertvolles in die Pfanne und wandelt sich unter kreativen Händen in Köstlichkeiten.
Miriquidi Melting Pot: Food-Theater zum kulturellen Schmelztiegel Erzgebirge
Verwandlung ist ein Thema, das Claudia Lappöhn sehr am Herzen liegt. Sie hat mit ihrem „Miriquidi Melting Pot“ ein Food-Theater ins Leben gerufen. Ihre kulinarischen Theaterstücke erzählen die Geschichte der Region seit dem Mittelalter. Ohne Europa, ohne Zuwanderung, ohne innovationen sei diese Geschichte nicht verstehbar, sagt die Gastronomin. Seit dem „Großen Berggeschrey“ 1168 kamen immer wieder Menschen ins Erzgebirge, um ihr Glück im Bergbau oder später der Industrie zu machen.
Über Jahrhunderte ist aus dem Miriquidi, dem Dunkelwald, der Schmelztiegel Erzgebirge geworden. Menschen brachten Fähigkeiten und Ideen, Handwerk und Kultur, Bräuche und Speisen mit. Alles verschmolz im Zusammenleben zu etwas einzigartigem Neuen. Genau zu dem, was wir heute Montanregion nennen und mit Stolz den Titel „UNESCO-Welterbe“ trägt.