Include me out

Sieben Skulpturen erinnern an stilisierte Fichten mit schuppiger Rinde. Sechs von ihnen stehen im Kreis und scheinen sich an einem der drei Äste festzuhalten, die zu beiden Seiten schwungvoll ausladen. Die Skulpturen haben Gesichter mit gesenkten Augenlidern, spitzen Nasen und der Andeutung eines nachdenklichen Lächelns auf den schmalen Lippen. Eine siebte Baumskulptur hat der 1974 in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, geborene und in Pasadena/USA lebende Sprengel-Preisträger Friedrich Kunath außerhalb des Kreises platziert. Ihre gesenkten Äste vermitteln Enttäuschung. Include Me Out (etwa: einschließen Sie mich aus) nennt der in verschiedenen Medien arbeitende Künstler seine nur auf den ersten Blick humorvoll und spielerisch anmutende Skulpturengruppe.

Der berühmte, paradoxe Ausspruch des Hollywood-Filmproduzenten Samuel Goldwyn stellt unmittelbar die Frage nach der eigenen Position in diesem Kreis und rührt an soziale und gesellschaftliche Urängste. Platziert im Buntsockenpark, der Teil einer ehemaligen von Bruno Neukirchner erbauten Strumpf-Fabrik war, erinnert die Baumgruppe auch an das Konzept der forstlichen Nachhaltigkeit, das der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz 1713 in seinem Werk „Sylvicultura oeconomica“ beschreibt. Es besagt, dass dem Wald nur so viel Holz entnommen werden darf, wie nachwachsen kann. Doch heute herrscht Trauer über Millionen verdurstete Fichten als dem „Brotbaum“ auch der sächsischen Forstwirtschaft. Die menschengemachte Klimakatastrophe konterkariert die vor gut 300 Jahren formulierte Nachhaltigkeits-Strategie. 

Thalheim: Traditionsbruch und Innovation  

Innovation sicherte das Überleben der Montan- und Industrieregion Erzgebirge in vielen Transformationsprozessen bis heute. Wo der Abbau von Silber im 16.Jh. nicht erfolgreich war, wie hier in Thalheim, versuchten die Menschen, andere Wirtschaftszweige aufzubauen. Aufgrund reicher Waldvorkommen und günstiger Wasserläufe in Thalheim und Umgebung etablierten sich im 17.Jh. das Mühlen- und Holzgewerbe und Textilwirtschaft. Die Kraft der Mühlen treibt Sägewerke und Tuchwalkereien an. Weberei und Klöppelei folgen nach, seit 1730 sind die Strumpfwirker belegt. 

Aktiv-Tipps 

Ab dem 19. Jh. entwickelt sich in Thalheim die Strumpfwirkerei zum Hauptgewerbe. Mit dem Bau der Eisenbahnlinie Chemnitz – Aue 1875 wird Thalheim zur Boomtown. Auf dem Höhepunkt der Industrialisierung 1925 zählt die Stadt 120 Fabriken. Der Buntsockenpark, in dem Friedrich Kunaths Skulptur „Include Me Out“ steht, ist ein Ort der die vielfach verstrickten Geschichten von Traditionsbruch und Innovation, Nachhaltigkeit und Klimawandel erzählt. Der Park wurde mit finanziellen Mitteln der Europäischen Union (EFRE) und des Freistaates Sachsen saniert. 

Weltmarktführer um 1900: Strumpffabrik Bruno Neukirchner 

Auf dem Areal des Buntsockenparks an der Thalheimer Robert-Koch-Straße stand einst die Strumpffabrik von Bruno Neukirchner. Der Unternehmer gründete die Strumpfwirkerei 1877 mit zwei hölzernen Wirkstühlen in seinem Wohnhaus. 1890 investierte er in eine moderne Fabrik mit Dampfkraft und Elektrizität. Als erster Fabrikant in Deutschland nutzte er ab 1896 moderne Cottonmaschinen, ein Kulierwirkverfahren, das in England erfunden wurde. Im Jahr 1902 hat Neukirchner seine Produktion so weit ausgebaut, dass er zu Weltmarktführer wird.

Bergbau und frühe Industrialisierung im Erzgebirge hatten jedoch nicht nur positive Folgen. Über Jahrhunderte betrieben die Menschen auch Raubbau an der Natur. Bis ins 18. Jahrhundert war fast der komplette Wald des Erzgebirges abgeholzt. Das Holz wurde als Bauholz für die Bergstädte und zur Sicherung der Bergwerke sowie als Brennholz zur Verhüttung der Erze benötigt. Der Hunger nach Holz war schier unersättlich. Doch die Ressourcen sollten auch für zukünftige Generationen verfügbar sein, der Nachschub an Holz durfte nicht abebben. Bis heute sind Holzverarbeitung und Papierherstellung wichtige Wirtschaftszweige. 

Hans Carl von Carlowitz: Der Begriff „Nachhaltigkeit“

Hans Carl von Carlowitz (1645-1714), Kammer- und Bergrat des Sächsischen Kurfürsten August des Starken, übernahm im Jahre 1711 das Amt des Oberberghauptmannes des Erzgebirges. Die Holzversorgung der Bergwerke und Erzhütten lag in seiner Verantwortung. Diese stellte er auf eine völlig neue Grundlage und fasste seine Gedanken in einem Buch zusammen: „Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ (1713). Es ist das erste Werk der modernen Forstwirtschaft. Darin prägte er erstmals in der Geschichte den Begriff der Nachhaltigkeit: den langfristigen und verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen. 

Mit dem Klimawandel wird Carlowitz´ Konzept der schnellwachsenden Fichtenkulturen zunehmend brüchig. Höhere Temperaturen und zunehmende Trockenheit vertragen die Fichten nur schlecht. Erhöhter Schädlingsbefall und massive Sturmschäden setzen dem Wald zu. Die Frage der Nachhaltigkeit muss neu gestellt werden. Mehr lesen… 

Hochleistungswerkstoffe für Energiebranche: Krempel GmbH & Co. Pressspanwerk KG 

Der Standort Thalheim knüpft an eine jahrhundertealte Geschichte der Papiermühlen im Erzgebirge und Holzverarbeitung im Erzgebirge an. Hier im Ort ist die Papierherstellung seit 1889 belegt. Bei der Krempel GmbH & Co. Pressspanwerk KG in Thalheim arbeiten ca. 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer hochmodernen Papierfertigung. Im benachbarten Zwönitz wird Pressspan gefertigt.

Die innovativen Produkte werden weltweit geliefert. Zum Einsatz kommen sie bei der Isolierung elektrotechnischer Maschinen und Anlagen in der Ebergiebranche, z.B. Generatoren, Transformatoren und Motoren. Die Werke gehören zu einem Familienunternehmen mit Stammsitz in Vaihingen/Enz, das auf 150 Jahre Tradition zurückblickt. Mehr lesen… 

Carl Bruno Neukirchner wurde am 19.12.1852 in Thalheim/Erzgebirge geboren. Als Sohn des Strumpfwirkmeisters Christian Friedrich Neukirchner kam er früh in Berührung mit der Strumpfherstellung. Der Vater war 1839 einer der Gründungsmitglieder der Thalheimer Strumpfwirkerinnung gewesen. Im Jahre 1877 heiratete Bruno Neukirchner seine Frau Johanne Christiane. Neun Kinder wurden in der Familie geboren, fünf starben im Säuglingsalter, vier wuchsen heran: Selma, Ernst, Frieda und Alfred. 

Im selben Jahr, 1877 gründete er sein eigenes Textilunternehmen und startete mit zwei Wirkstühlen zum Herstellen von Strümpfen. Was als Einzelunternehmen begann, entwickelte Neukirchner bis 1902 zum größten Strumpfhersteller der Welt. Erster Weltkrieg und Inflation brachten die Firma in schwere wirtschaftliche Krisen. In den „goldenen 192ern“ gelang es Carl Bruno Neukirchner und seinem Sohn Ernst, ihre Strumpffabrik noch einmal zur Blüte zu führen: Im 50. Jubiläumsjahr produzierte man 600.000 Dutzend Strümpfe. Carl Bruno Neukirchner starb am 17.05.1936 an den Folgen einer Lungenentzündung. 

Weltmarktführer um 1900: Strumpffabrik Bruno Neukirchner 

Auf dem Areal des Buntsockenparks an der Thalheimer Robert-Koch-Straße stand einst die Strumpffabrik von Bruno Neukirchner. Der Unternehmer gründete die Strumpfwirkerei 1877 mit zwei hölzernen Wirkstühlen in seinem Wohnhaus. 1890 investierte er in eine moderne Fabrik mit Dampfkraft und Elektrizität. Als erster Fabrikant in Deutschland nutzte er ab 1896 moderne Cottonmaschinen, ein Kulierwirkverfahren, das in England erfunden wurde. Bis ins 20. Jh. war dies die Technologie zur Fertigung von Damenstrümpfen. 

Im Jahr 1902 hat Neukirchner seine Produktion so weit ausgebaut, dass er zu Weltmarktführer wird.

Die Branche verleiht ihm den Titel „Nestor der deutschen Strumpfindustrie“. 1905 steigt sein Sohn Paul Ernst ins Unternehmen ein, im wenige Kilometer entfernen Oberaffalter wird eine weitere Fabrik gebaut. Um das Jahr 1927, zum 50. Firmenjubiläum erreicht das Unternehmen seine letzte Blüte. 1936 stirbt der Gründer Bruno Neukirchner. Im 2. Weltkrieg kommt die Produktion zum Erliegen, 1953 wird die Familie zunächst enteignet, erhält die Fabrik dann aber wieder zurück. 1954 gibt Ernst Neukirchner unter schwierigen Bedingungen das Unternehmen auf. Alle Strumpfwarenbetriebe in Thalheim werden während der DDR-Zeit enteignet und in das VEB Strumpfkombinat ESDA eingegliedert. 

Industriekultur: Neukirchner Villa 

Die Fabrikgebäude wurden im Jahr 2017 abgerissen. Übrig geblieben von der Strumpffabrik Neukirchner ist heute einzig die zugehörige Villa. Sie wurde 2010 restauriert, beherbergt heute den Trausaal des Standesamtes, Seminarräume und Firmenbüros und steht unter Denkmalschutz. Mehr lesen… 

Der Kunst- und Skulpturenweg PURPLE PATH:

Die Landschaften um Chemnitz – das Erzgebirge, Mittelsachsen, das Zwickauer Land – sind tief geprägt von der 850-jährigen Geschichte des Bergbaus. Der Abbau von Silber, Zinn, Kobalt, Kaolin und Wismut hat das Leben bestimmt; alle Wege, Straßen, Siedlungen haben irgendwie damit zu tun. Es ist eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, die im 21. Jahrhundert neu entdeckt werden will.

»C the Unseen« lautet das Leitmotiv der Kulturhauptstadt Europas 2025. Chemnitz und die Region werden Besucher:innen aus der ganzen Welt empfangen. Ein zentrales künstlerisches Angebot ist der Kunst- und Skulpturenweg des PURPLE PATH mit Arbeiten von internationalen und sächsischen Künstler:innen.

Kuratiert von Alexander Ochs orientiert sich der PURPLE PATH am Narrativ „Alles kommt vom Berg her“ und verbindet 38 Kommunen im Erzgebirge, in Mittelsachsen und dem Zwickauer Land mit der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz 2025.

Uli Aigners Monumentale Porzellane ist das sechste Kunstwerk am kontinuierlich wachsenden PURPLE PATH. Bereits installierte Werke stammen von Nevin Aladağ in Zwönitz, Tony Cragg in Aue-Bad Schlema, Friedrich Kunath in Thalheim, Tanja Rochelmeyer in Flöha und Carl Emanuel Wolff in Ehrenfriedersdorf.

Courtesy Friedrich Kunath and König Galerie Berlin, Seoul, Wien

Fotos: Ernesto Uhlmann

Texte: Ulrike Pennewitz / Alexander Ochs 

0